Als außerirdischer Leser, der im intergalaktischen Possenkanon zufällig auf diesen Text stößt, wird man sich als Erstes fragen, wer denn diese Menschen waren, von denen hier die Rede ist, und wo sie lebten.
Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Weder weiß ich, wie sich eure Spezies von der unseren unterscheidet, noch könnte ich sagen, wo sich auf einer Raumkarte in x-tausend Jahren unser Sonnensystem befinden wird. Ich kenne nicht einmal die Antwort auf die grundlegendsten Fragen. Etwa, mit welchen Sinnesorganen ihr ausgestattet seid, ob ihr das Konzept einer Sprache versteht und ob unser Denken mit eurer Art, die Wirklichkeit zu interpretieren, einigermaßen kompatibel ist.
Dennoch muss ich mich der Herausforderung stellen.
Um den vorliegenden Text nicht unnötig aufzublähen, werde ich mich in den folgenden Kapiteln auf die wichtigsten Kuriositäten der Menschheit beschränken. Erläuterungen zu irdischen Messgrößen, Naturphänomenen, Technologien und anderen Besonderheiten unserer Umgebung finden sich in der enzyklopädischen Datenbasis, die der galaktischen Ausgabe meines Buchs hoffentlich als goldene Datenplatte beiliegt. Ich setze voraus, dass ihr mit Hilfe der Enzyklopädie(n) vorab ein gewisses Grundverständnis über uns, unsere Sprache und unseren Planeten aufgebaut habt und dass ich nicht jeden Begriff bis ins kleinste Detail erläutern muss; dass ihr eine Ahnung davon habt, was Freude und Angst bedeuten, was Autos, Jahreszeiten, Schneekristalle, Bäume und so weiter sind, und wie unsere zum Teil erschreckend einfältige Logik funktioniert. Andernfalls müsste ich Abertausende Seiten füllen und würde schnell in einen trockenen Lexikonstil verfallen, sehr zum Leidwesen meiner augenzwinkernden Spötternatur. Am besten wäre es freilich, wenn ihr über Übersetzungsmechanismen verfügtet, die an gegebener Stelle automatisch die richtigen Erläuterungen liefern.
Was ihr in meiner Niederschrift erfahren werdet, ist eine Sichtweise auf uns Menschen, die so in keiner unserer Enzyklopädien steht. Sie ist unzensiert, manchmal schelmisch, manchmal schonungslos direkt, aber niemals schönfärbend. Eher werdet ihr mein Bedauern über die offenbar umsonst herangebildete Hirnmasse mancher meiner Artgenossen lesen, als dass ich mich jemals in Lobpreisungen über unsere Spezies ergehen werde. Letzteres wäre die Aufgabe von planetarischen Botschaftern gewesen, wenn die Menschheit nicht vorzeitig von der Erde ausradiert worden wäre (wie ich annehmen muss). Ich hoffe, meine etwas undiplomatische Herangehensweise an das Thema »Homo sapiens« kommt eurem Wunsch, die wahren Hintergründe über unser Verschwinden zu erfahren, entgegen. Versuchen wir es einfach!
Also, mein Name ist Gard Meneberg, Ordnung »Herrentier«, Unterordnung »Trockennasenaffe«, Gattung »Homo«. Das klingt nicht sonderlich beeindruckend, ich weiß, doch so sind nun einmal die Fakten. Und nein, nur weil ich zu den Trockennasenaffen gehöre, ist meine Nase nicht immerfort trocken. Manchmal ist sie feuchter, als mir lieb ist. Um alle Unklarheiten zu beseitigen: Auch die weiblichen Vertreter unserer Art nennen sich Herrentiere und nicht etwa Frauentiere, obwohl so etwas heutzutage gar nicht mehr verwunderlich wäre.
Gehen wir zur Gattung Homo über. Als ersten Hinweis darauf, an welchem Punkt die Posse beginnt, könnte ich anführen, dass sich der Mensch als das komplexeste Gebilde des gesamten Universums betrachtet. Immer noch, obwohl er es nach Jahrhunderten der Ignoranz längst besser wissen sollte. Sein Kortex kommt ihm dermaßen verschachtelt und rätselhaft vor, dass er keinen ihm ebenbürtig erscheinenden Vergleich findet. Zumindest, solange er sich auf die interstellaren Gaswolken da oben beschränkt (wenn ich »da oben« schreibe, meine ich alles, was jenseits unseres Firmaments ist; das ist unsere Art, mit dem Prinzip der Schwerkraft umzugehen). Und auf die Sterne, Kometen und Asteroiden.
Noch drolliger wird die Vorstellung vom komplexesten Gebilde im Universum dann, wenn man weiß, dass immer noch Uneinigkeit darüber besteht, ob das Weltall nun endlich oder unendlich ist. Ob es sich ausdehnt oder zusammenzieht. Ob es vor Milliarden von Jahren ein globales Schöpfungsereignis gab oder nicht, und ob in Milliarden von Jahren ein »Entschöpfungsereignis« sämtliche Spuren wieder beseitigen wird. Klar, dass wir als flüchtige Wesen eine Vorliebe für die Unendlichkeit haben. So wie ein Baum vielleicht von Silhouetten am Horizont träumt. Oder ein Landtier vom Fliegen.
Dass ich vorhin »immer noch« schrieb, als es darum ging, dass viele unser Gehirn mit der komplexesten Struktur im Universum gleichsetzen, kommt nicht von ungefähr: Der Mensch hat ein Faible dafür, in seinem Dasein etwas Besonderes, Außergewöhnliches, Einmaliges zu sehen. Ohne seine Gattung würde das Universum gar nicht existieren, denn es ist ausschließlich um seinetwillen entstanden. So glaubte er zumindest während der letzten Jahrhunderte, bevor er begriff, wie winzig er eigentlich im astronomischen Maßstab ist.
Die skurrile Selbstüberschätzung hat eine lange Geschichte. Wahrscheinlich reicht sie an jenen Tag zurück, als eine Vorstufe des Australopithecus zum ersten Mal so etwas wie einen Funken Geist in sich spürte. Keinen konkreten Gedanken, wie er für »Herrentiere« neuerer Generationen typisch ist, eher eine Art Blitz, der alles bedeuten konnte und jenseits seiner sonstigen Triebbesessenheit lag. Bestimmt kam dabei ein Gefühl der Verblüffung in ihm auf, weil sich plötzlich eine höhere Qualitätsstufe des Seins ergab. Aber noch bevor er konkret damit umgehen konnte, beflügelte ihn wohl der innere Wandel und er spürte ein Vorgefühl dessen, was ihn einmal zum Menschen machen würde: Stolz und Überheblichkeit über die Seichtnaturen und das Affengewusel rund um ihn. Später, als er sich weiterentwickelte, begann er, die anderen Tierwesen mehr und mehr auf Abstand zu halten und sich irgendwann als Sonderfall der Natur zu sehen. Als Krone der Schöpfung.
Was macht den Menschen nun so besonders?, werdet ihr fragen, und würdet ihr ihn von seinen tierischen Vorstufen überhaupt unterscheiden können? O ja, das würdet ihr. Der Mensch geht für gewöhnlich auf zwei Beinen, trägt Kleidung und ist nur in Ausnahmesituationen scheu. Natürlich wäre es möglich, dass ihr mit dieser Beschreibung einen domestizierten Affen als Menschen fehldeutet oder einen Pudel, der in Knickerbockern sein Frauchen begrüßt, aber das wäre reiner Zufall. In mehr als neunundneunzig Prozent der Fälle würdet ihr richtig liegen. Falls ihr aber absolut sichergehen wollt, tretet ihm in Menschengestalt gegenüber und überreicht ihm eine Unze Gold oder Silber mit der Aussicht auf mehr. Je zugänglicher sich das Wesen danach zeigt, desto sicherer könnt ihr sein, ein »Herrentier« vor euch zu haben.